Nordroute in Afghanistan

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Einführung
Afghanistan stellte auf dieser Reise das am wenigsten entwickelte und entsprechend auch ursprünglichste Land dar. Nicht nur die technische Entwicklung, sondern mehr noch die soziale Organisation der afghanischen Bevölkerung, wie auch deren Wohlstand hinkte hinter seiner Nachbarn nach. Gemessen an der beträchtlichen Ausdehnung des Landes präsentierte sich die Verkehrsinfrastruktur geradezu rudimentär, wofür auch natürliche Gegebenheiten eine wichtige Rolle spielen. Die Ausläufer des Hindukuschs teilen Afghanistan in eine nördliche und eine südliche Hälfte - eine Trennlinie nicht nur für Afghanistan, sondern im Kalten Krieg auch eine «Grenze der Systeme». Die einzigen beiden grossen Strassen wurden von den beiden konkurrierenden Supermächten gebaut, von Herat über Kandahar nach Kabul von den Amerikanern und vom Norden nach Kabul durch den Salangtunnel durch die Sowjets. Dass beide damit auch strategische Ziele im Auge hatten solle sich einige Jahre später mit der Besetzung des Landes durch die rote Armee bestätigen. Das Verbindungsstück zwischen den beiden erwähnten Strassenästen mit den Punkten Herat und Mazar-i-Sharif stellte die sogenannte «Nordroute» dar. Sie war im wesentlichen eine Verbindung aus schmalen Pisten, die wir in der Folge gerne etwas vorstellen.

Tagebuchausschnitte
Herat, unsere Eintrittspforte nach Afghanistan
Herat erwies sich als ein äusserst sehenswerter Ort mit einer Altstadt, in deren verwinkelten Gässchen man sich leicht verirren kann. Ein lebhafter Bazar bildete den wirtschaftlichen Mittelpunkt und zu unserem nicht geringen Erstaunen hiessen die häufigsten Verkehrsmittel hier Fahrrad und Pferdekutsche, aber auch Eselsrücken boten nach wie vor einen wichtigen Beitrag zur Transportkapazität. Motorisierter Verkehr dagegen war noch echt selten.
Die Stadt wurde durch eine eindrückliche Zitadelle gekrönt, deren dicke Mauern und mächtige Tore vornehmlich aus Lehm aufgebaut worden waren. Sie konnte besichtigt werden und bot zudem einen schönen Ausblick auf die Stadt und Umgebung. Sehenswert auch die grosse Freitagsmoschee mit ihrer bunten Façade in Fayencetechnik, die oft Blumenmustern nach empfunden waren. Der Bau wurde in den Jahren 1200/01 unserer Zeitrechnung unter dem Ghuridensultan Ghiyath ad-Din in Angriff genommen und weist trotz vieler Erweiterungen und Umbauten noch den ursprünglichen ghuridischen Grundriss auf.
Bewilligungsmarathon
Um auf der Nordroute nach Mazar-i-Sharif reisen zu dürfen, wurde eine polizeiliche Bewilligung gebraucht. Das Verfahren, um dieses wichtige Papier zu erhalten, war recht standardisiert und bedingte nur einen kleinen Marathon durch die relevanten Ämter und gestaltete sich folgendermassen: i) morgens früh ein Gang zur Touristeninformation. Dort kopierte man von Hand einen entsprechenden Bittbrief an die Behörden. ii) mit diesem selbst verfassten Schreiben wandte man sich an die Polizeistation, um nach Erhalt des benötigten Stempels iii) das Passbüro auf zu suchen. Von dort ging man iv) zurück zum Polizeibüro, v) wieder zum Passbüro und vi) schliesslich an den Anfangspunkt bei der Touristeninformation zurück, wo der letzte Stempel aufgedrückt wird. Damit war man schliesslich stolzer Besitzer der Bewilligung und konnte eine Fahrkarte für die von der afghanischen Post bediente Route nach Maimana und Mazar-i-Sharif kaufen.
Im Kleinlastwagen auf der Nordroute
Das Fahrzeug für die nächsten beiden vollen Tage sollte ein rot-weisser Kleinlastwagen sein. Zuerst wurde das zahlreiche Gepäck auf die Ladefläche verstaut, bis dass zur Höhe der Oberkante der Sitzbänke aufgefüllt war. Anschliessend konnten wir zusammen mit 20 weiteren Passagieren - alles Männer soweit ich mich erinnern kann - auf engem Raum zusammendrängen. Auf dem Dach wurden noch jede Menge an Schaumstoffmatrazen festgebunden.
Bei vielen unserer Mitreisenden schien es sich um aus dem Militärdienst entlassene Soldaten zu handeln, die ihren Sold in wichtige Waren investiert hatten. Kasettenrecorder schienen der aktuelle Renner zu sein - jeder zweite besass eines dieser Luxusgüter und bei jeder Dorfdurchfahrt wurde auf volle Lautstärke gedreht, um den neuen Reichtum zu demonstrieren. Zehn verschiedene Kasetten ergaben eine herrlich dissonante Geräuschkulisse. Zu unserem Glück und dem Pech der Besitzer erschöpften sich die Batterien aber bald einmal, so dass eine akkustisch ruhigere Fahrt einkehrte.
Ansonsten erwies sich unser Fahrzeug als recht pannenanfällig. Laufend mussten die Radmuttern nachgezogen werden, dann fuhr man ein gutes Stück zurück und suchte nach der verlorenen Radkappe und schliesslich kurz vor dem Ziel ging noch der Treibstoff aus und man musste mit einem Kanister auf einem andern Fahrzeug mitfahrend welchen besorgen gehen.
Erlebnis Nordroute in Afghanistan
Im ersten grösseren Ort nach Herat hiess uns die Polizei zur Kontrolle der Bewilligung aussteigen und schon waren wir das wertvolle Stück Papier los - schade wäre ein tolles Souvenir gewesen. Die Piste führte bald einmal abenteuerlich in unmittelbarer Nähe entlang eines nicht sehr festen Abbruches etwa 20 m oberhalb eines Flusses. Die dort unten im Flussbett liegenden Skelette von Fahrzeugen trugen nicht stark das Ihre zur Vertrauensbildung bei - aber es musste ja nicht gerade heute sein, dass das Erdreich nachgibt, wir das bereits lockere Vorderrad verlieren oder der Fahrer allenfalls einnickt!
Am Nachmittag fuhren wir über einen hohen Pass in ein Hochtal, in welchem etliche Nomadensippen ihre Herden auf dem reichlich grünen Gras weideten. Trotz der Nachmittagszeit war es hier bitterkalt und man musste seit langem wieder einmal zu wärmender Kleidung greifen. Wir fuhren dann noch bis in die Nacht hinein und hielten schliesslich bei einem Teehaus, worein sich unsere Mitreisenden verzogen während wir die Schlafsäcke auf den Gepäckstücke ausbreiteten und uns für die kurze Nacht hineinlegten.
Am nächsten Morgen wurde dann das Flussbett zur unserer Strasse und wir kamen an einigen Ortschaften wie Qala Murghab vorbei bevor wir Gegenden erreichten, in welchen, wie im benachbarten Turkmenistan, entlang der Flusstäler hauptsächlich Baumwolle angepflanzt wurde. Die dahinterliegenden Berge waren völlig kahl und zum Teil waren sogar grosse Dünen aus zu machen. Es überraschte uns deshalb nicht sonderlich, hier auch Kamele weiden zu sehen, ja sogar eine Waren transportierende Kamelkarawane anzutreffen!
Maimana und Mazar-i-Sharif
In Maimana genossen wir einen Tag der Rast, hatten jedoch die Stadt mit ihrem lebhaften Bazar bald einmal gesehen. Die Pisten zwischen Maimana und der in Shiberghan beginnenden Russenstrasse war bereits wieder mit Minibussen zu befahren, so dass wir recht zügig nach Mazar-i-Sharif gelangten.
Die Stadt Mazar-i-Sharif ist das wichtigste religiöse Zentrum Afghanistans und weist eine grosse und schön gestaltete Grabmoschee auf. Als Nichtmuslime durften wir sie leider nur von ausserhalb der Abschrankungen betrachten, aber auch aus der Distanz war der Eindruck gewaltig. Wichtig war uns hier aber ausserdem der Ruf des Muezzins, der den Untergang der Sonne und somit die Zeit zum Brechen des täglichen Fastens während dem Monat Ramadan ankündigte.
Ghuridische Freitagsmoschee in Herat Ghuridische Freitagsmoschee in Herat
Minarett der Freitagsmoschee in Herat Minarett der Moschee Fayencen an der Freitagsmoschee in Herat Fayencen in Herat
Nomadenlager an der afghanischen Nordroute Nomadenlager an der afghanischen Nordroute
Sanddünen im Grenzbereich zu Turkmenistan Sanddünen im Grenzbereich zu Turkmenistan
Unser Transportmittel auf der Nordroute Unser Transportmittel auf der Nordroute
Mädchen in Mazar-i-Sharif Mädchen in Mazar-i-Sharif Nordafghane Nordafghane
Strassenszene in Mazar-i-Sharif Strassenszene Pakistanischer Lastwagen in Mazar-i-Sharif Pakistanischer Lastwagen
Pakistanischer Lastwagen in Mazar-i-Sharif Pakistanischer Lastwagen in Mazar-i-Sharif
«Geisterfrau» in Mazar-i-Sharif «Geisterfrau» Fayencen an der Moschee in Mazar-i-Sharif Moschee in Mazar-i-Sharif

Etappen der Orientreise
Istanbul. Metropole am Bosporus.
Anatolien. Die Hauptstadt Ankara, Kappadokien und Erzurum.
Irans Norden. Die Städte Täbriz, Teheran und Mashad.
Afghanistans Nordroute. Auf Piste von Herat nach Mazar-i-Sharif.
Hindukusch mit Bamiyan und Band-i-Amir. Buddhas und Seen.
Durch Belutschistan. Bemerkenswertes aus Pakistan.
Irans Süden. Die Städte Bam, Kerman und Yazd.
Isfahan. Paläste, prächtige Moscheen und armenische Kirchen.
Persepolis. Ruinen und Flachreliefs in der alten Kaiserstadt.
Iranisch Kurdistan. Hamadan und Kermanshah in den Bergen.
Türkische Schwarzmeerküste. Grüne Vegetation, blaues Meer.
   

Foto Gallerien
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Übersicht
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Heinz Rüegger - 29.04.2006 HOME